Ein Buch schreiben ist wie ein Baby bekommen. Diesen Vergleich bringt eigentlich jeder, der es wirklich ernst meint mit dem Schreiben. Weil es einfach stimmt. Das fängt schon in der Schwangerschaft an. Du wirst von Fremden gegen deinen Willen am Bauch getätschelt und nach dem Geschlecht gefragt. „In welchem Genre schreibst du denn?“ Die gut gemeinte Frage eines ernsthaft Interessierten. „Was wird es denn?“ Es wird … ein Kind. Also: ein Roman. Klar wird es irgendwelche Geschlechtsteile haben, wenn es zur Welt kommt, aber ist das wirklich wichtig? Schon in der Schwangerschaft bekommst du unaufgefordert Erlebnisberichte darüber, wie Mädchen angeblich sind. „Also mit Mädchen hast du nicht so viel Arbeit.“ Lauter solche Sachen.
Ich fand es schon damals, als meine Kinder zur Welt kamen, total unwichtig, welches Geschlecht sie haben würden. Deshalb habe ich mir vorher nicht sagen lassen, „was es wird“. Denn „was es wird“, das entscheidet am Ende das Kind selbst. Ich tue gut daran, als Erziehungsberechtigte alles möglich zu machen, damit sich mein Kind in seinem Umfeld so frei wie möglich entfalten kann.
Genre oder Geschlecht? Ist das nicht egal?
Noch im Schreibprozess hörte ich solche Sachen wie: „Am besten kommen historische Romane an.“ „Oder Fantasy.“ „Aber gibt es auch genug Handlung in deiner Geschichte?“ „Sonst liest es keiner.“ Ich kann dazu nur sagen: Es ist wie beim Kinderkriegen. Aus mir kann nur das herauskommen, was in mir ist. Am besten wäre es gewesen, gar nicht zu erzählen, dass ich etwas schreibe. Das ist ja der Vorteil gegenüber dem Schwanger-Sein. Keiner sieht, dass da irgendwas entsteht.
In mir war jedenfalls zu keiner Zeit ein Krimi. Kein Thriller, kein Fantasy. Und auch kein Historienroman oder Science Fiction. In mir war eine Coming of age Geschichte. Und am Anfang wusste ich nicht einmal, dass es eine Coming of Age Geschichte ist. Bis es mir dann jemand gesagt hat.
Dass Mädchen so werden wie Mädchen, das liegt ja nicht nur an ihren primären Geschlechtsmerkmalen, sondern daran, dass andere Leute sagen, wie Mädchen angeblich seien. „Mädchen sind ja nicht so anstrengend“, zum Beispiel. Aber: Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Für Männer gilt das auch.
Die Genre -Frage ist für alle wichtig, die sich orientieren wollen. Natürlich möchte der Buchhändler gerne wissen, in welches Regal er meinen Roman stellen soll. Und Eltern wollen gerne planen, ob das Zimmer hellblau oder rosa gestrichen wird. Kategorien schaffen Ordnung, Schubladen sind praktisch.
Das Wissen über bestimmte Genre-Erwartungen ist selbstverständlich wichtig und die dazu gehörenden Regeln sollte man auch kennen. Aber dadurch kommt nicht automatisch eine gute Geschichte zustande. Ein Mädchen wird ja auch nicht deshalb zu einem guten Menschen, weil die Kinderzimmerwand rosa war.
Mit Kindern ist es wie mit Geschichten. Je mehr Möglichkeiten du ihnen gibst, sich frei zu entfalten, desto echter werden sie.
Ich werde meinem Buch, dem neuen Wesen, alle Startchancen geben, die es braucht, seine innere Kraft zu entfalten. Das Würmchen liegt an meinem Busen und ich werde es nähren mit aller Energie. Vielleicht hat mein Kind Trisomie 21, sechs Finger oder nur einen Arm. Kann sein. Es ist wie es ist. So wollte ich es haben. Es ist da und das ist gut.
Und jetzt wünsche ich meinem Buchbaby, dass es ein paar Freund:innen findet. Dass es Menschen zum Lachen bringt, zum Weinen, zum Reden oder zum Nachdenken.
Mein Kind heißt übrigens MIXTAPE 86. Am 31.8.ist Erscheinungstermin.
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