Wer Altes loslässt und Neues wagt, der wird den Halt verlieren. Das habe ich gelernt.

Im Moment bin ich in den Bergen. Wandern. Vielleicht kennst du das ja auch: Da ist ein kleiner Bach und du möchtest nicht, dass deine Füße nass werden. Schließlich ist der Weg noch weit und feuchte Socken machen Blasen. Also nimmst du den Balken, der über das Wasser führt. Du balancierst darauf, setzt einen Fuß vor den anderen, doch dann … Dann beginnt das Holz zu wackeln. Du stehst nur auf einem Bein, strauchelst, taumelst und kannst dich kaum noch halten. Dir bleibt wenig Zeit zu überlegen, was du als nächstes tun kannst, um nicht zu fallen. Auf der Wanderung dauert dieser Moment vielleicht nur ein paar Sekunden. Dann findest du wieder Halt oder du siehst einen trockenen Stein aus dem Wasser ragen. Der rettet dich und du kommst sicher ans andere Ufer. Im Leben sind diese Momente des Strauchelns oft viel länger. 

Du möchtest auf zu neuen Ufern. 

Du gehst einen Weg, den du noch nie gegangen bist. Für mich war dieser neue Weg das Schreiben meines Romans. Das Triathlon-Training hatte ich aufgegeben, meine Tage, Wochen und Monate hatten nicht mehr diese Struktur, die einem der Wettkampfsport vorgibt: Training in jeder freien Zeitlücke, vor der Arbeit, nach der Arbeit, am Wochenende, zwei wichtige Wettkämpfe im Jahr, Aufbau, Höhepunkt, Regeneration und so weiter und so weiter. 

Ich musste eine neue Struktur finden. Man kann aber nicht Training 1:1 durch Schreiben ersetzen. Vor allem dann nicht, wenn man in einem Körper steckt, der Hummeln in den Adern hat. Das ist mir aber erst jetzt klar. Zuerst habe ich so getan, als gehörte dieser Körper, (also der mit der Hummeln in den Adern), nicht zu mir. Ich habe ihn komplett ignoriert und bin einfach zu tausend Prozent diesem Drang gefolgt zu schreiben. Und Schreiben heißt: Still sitzen. Und die Hummeln summen lassen. Irgendwann taten meine Beine weh – vom Sitzen. (Wenn´s interessiert: Es war der Piriformis und beide Knie, die so weh getan haben.) Also habe ich mir ein Stehpult gebaut, um weitermachen zu können. Aber das ging sehr schnell auch nicht mehr. Totale Erschöpfung. Dann kamen die Zweifel: „Warum machst du das alles? Hör doch einfach auf! Wer weiß, ob das überhaupt jemanden interessiert, was du da machst!“ Es war im Grunde dieselbe innere Stimme, die mich im Ironman-Rennen so ab km 15 auf der Laufstrecke immer vollquatscht. Wenigstens das war also etwas Bekanntes. Allerdings war diese Stimme noch viel brutaler. Sie hat auch solche Sachen gesagt wie: „Du und Schriftstellerin? Ha,ha,ha! Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Lass´ es einfach.“ Ich war richtig fertig. Da machte ich nun schon keinen Sport mehr und mein Körper tat mehr weh als in den Hochphasen meines Ironman-Trainings. Ich fühlte mich haltlos. 

In meinem Fall war der rettende trockene Stein ein Mensch. 

Von meiner persönlichen Yoda-Freundin, meiner Mentorin, habe ich ja schon erzählt. (Hella. Die mir die Buchlampe geschenkt hat). Hella war mein trockener Stein. Sie hat mir zwei Sachen klar gemacht: 1. Dass ich am Schwanken bin. (Glaub´ es oder nicht, mir war das gar nicht klar.) 2. Dass Schwanken vollkommen normal ist, wenn man etwas Neues macht. Allein dieses Wissen hat mich stabiler gemacht. Ich stand also schon bald wieder auf zwei Füßen, war aber noch nicht am anderen Ufer angekommen. Um das zu schaffen, musste mir klar werden, wie ich beschaffen bin. Dass mein Körper nämlich nicht ununterbrochen sitzen kann, sondern die Hummeln bisweilen raus müssen. Also habe ich mir einen Plan gemacht, wann und wie lange ich schreibe und wann und wie das Ganze durch welchen Sport unterbrochen werden muss. Das lief alles in der Zeit des Lockdowns: Ich musste also viel zu Hause herumhampeln, Yoga, Gymnastik, Krafttraining. Ab und zu bin ich wieder Rad kurz gefahren und – wenn die Knie es zugelassen haben – auch ein bisschen gelaufen. Dann wurde es besser und der Körper tat auch nicht mehr so weh. 

Wenn du also etwas Neues vorhast, dann lass´ dich nicht dadurch irritieren, dass du zwischendurch mal so richtig am Taumeln bist, nicht weiter weißt, dir alles zurück wünschst, was vorher war, du einfach nur noch aufhören willst. 

Irgendwo gibt es immer einen rettenden Stein. 

Davon bin ich fest überzeugt. Und ich bin auch fest davon überzeugt, dass es dir bei deiner Suche nach Halt sehr hilft, wenn du in dich hineinhorchst und dich dabei selbst immer besser kennenlernst.