Jeder kennt Matthias Brandt.
Matthias Brandt hat ein Problem, das alle Menschen haben, die in mehreren Rollen unterwegs sind. Beim Namen Matthias Brandt sagen die Leute als erstes: „Ach, das ist ja der Sohn vom ehemaligen Bundeskanzler.“ Und dann kommen erst lauter Allgemeinplätze über Willy Brandt: „Kniefall in Warschau“ und danach über seine Partei: „Niedergang der SPD“. Sie sagen nicht: „Matthias Brandt? Das ist doch der hervorragende Schauspieler.“ Jedenfalls sagen sie das nicht als erstes. Und schon gar nicht werden sie sagen: „Das ist doch der wunderbare Schriftsteller.“ Nun ist Matthias Brandt sehr berühmt und ich bin das nicht. Aber ich kann gut nachfühlen, wie es ist, nicht als das wahrgenommen zu werden, was man wirklich ist oder sein möchte. Nicht nur Sohn. Sondern auch Schauspieler. UND Schriftsteller. Ich bin ja auch nicht nur Triathletin.
Für meine Story ist jetzt jedenfalls der Schriftsteller Matthias Brandt wichtig.
Im Dezember 2019 war er zu Gast im literarischen Quartett und hat extrem einfühlsam und begeistert über den Roman von John Burnside gesprochen: „Über Liebe und Magie – I put a spell on you“, über die Unmöglichkeit die Liebe zu leben und die Sehnsucht nach Magie. Für John Burnside habe ich mich danach ehrlich gesagt nicht interessiert, sondern nur für Matthias Brandt. Jemand, der so schön über Bücher, Liebe und Magie redet, der schreibt bestimmt auch gut, dachte ich und fing an, seinen Roman Blackbird zu lesen.
Um es vorweg zu nehmen: Dieses Buch hat mich weggehauen!
Es hat mein Leben verändert.
Ja, das kann man schon so sagen. Ich erkläre auch gleich, warum.
In dem Buch geht es um den 15jährigen Morten, dessen bester Freund Bogi plötzlich Krebs bekommt. Gleichzeitig lassen sich seine Eltern scheiden, Morten verliebt sich in ein Mädchen und lauert ihr wie besessen auf. Weil er so beschäftigt ist, dieses Mädchen für sich zu gewinnen, vernachlässigt er seinen kranken Freund. Deshalb plagt ihn sein Gewissen.
Die ersten Seiten haben mich gar nicht so besonders beeindruckt. Erst dachte ich, die Sprache wäre nicht besonders clever. Auf den ersten Blick klang alles eher dünn und lapidar – wie ein 15jähriger halt so spricht. Aber was mich dann in den Bann gezogen hat, das war diese inkonsistente Mischung aus Verpeiltheit und Humor, die man so nur in der Pubertät findet. Sie sickert durch jeden Satz. Ich hatte und habe auch heute noch ein tiefes Verständnis für diese unsagbare Unsicherheit, die das Erwachsenwerden mit sich bringt. Matthias Brandt findet eine Sprache für einen Jungen, der sich und seine Gefühle eigentlich gar nicht ausdrücken kann. Das hat mich unglaublich fasziniert. Matthias Brandt ist Jahrgang 1961, die Geschichte spielt offensichtlich Ende der Siebziger Jahre – Matthias ist nicht Morten, aber immerhin, beide fangen mit M an. Ich las den Roman, lachte mich kaputt, weinte, brauchte Taschentücher für meine Tränen und war am Ende überwältigt.
Diese Erzählstimme war so echt! Sie schöpfte ganz tief aus dem Innersten eines Autors, der genau weiß, wie es sich anfühlt, verlassen zu werden, tieftraurig zu sein, gleichzeitig keine Worte für diese Gefühle zu haben und stattdessen über den ganzen Schmerz eine unfassbar witzige Situationskomik zu legen. Es war diese Art von Humor, die man nur von sehr jungen Menschen kennt, von Leuten, die sich einen neugierigen, frischen Blick auf die Welt bewahrt haben.
Ich kann gar nicht genau sagen, wie das kam. Aber als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, war in meinem Kopf eine weibliche Gegenfigur zu Morten entstanden. Das war irgendwie ganz von alleine passiert.
Mir wurde klar, dass ich schon sehr lange eine ganz ähnliche weibliche literarische Stimme in mir trug. Sie wollte so schnell wie möglich heraus und es waren gleich viele Ideen da. Ich fing an, in meinen alten Tagebüchern zu lesen und meine Hauptfigur Franka entwickelte sich wie von selbst.
Hast du auch so Aha-Erlebnis-Buch, das dein Leben verändert hat? Oder war es ein Film? Ein Musiktitel? Eine Geschichte, die dir jemand erzählt hat?
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