Die Nacht im Zug von Lao Cai (Sapa) nach Hanoi geht schnell rum. Die Abteile haben vier Betten, zwei oben zwei unten. Das ist komfortabel. Ich teile mir mein Abteil mit drei vietnamesischen Teenagern, die wenig Schlaf- und viel Redebedarf haben. Ich beschäftige mich mit einem Ameisenstich: Ausgerechnet im Wartebereich, am Bahnhof, jenseits der Wildnis, hat mich eine Ameise mit einem sehr großen Stachel in den Finger gestochen und diesen kurzfristig gelähmt. Zum Glück vergeht das nach einer Weile wieder. Gerädert am Bahnhof Hanoi stehend muss ich feststellen, dass mein Hostel mich offenbar vergessen hat. Mit mir steht da ein Franzose, von seiner Reiseagentur zeigt sich auch keiner. Wir quatschen eine Weile. Nachdem seine Firma von Deutschen aufgekauft wurde, hatte er keinen Job mehr, bekam eine Abfindung und nun ist er seit einem Jahr in der Welt unterwegs. Er war aber noch nie in der Provence. Heute fliegt er nach Hause. Ich rufe mein Hostel an und werde von einem Motorroller abgeholt. Ohne Helm. Mein Fahrer ist schätzungsweise dreizehn und fährt wie alle anderen auch. Anarchisch. Im Hostel bleibt mir nur kurz Zeit, meine Sachen zu wechseln und einen Happen zu essen. Dann geht´s auch schon weiter im Bus von Hanoi nach Haiphong. Der Fahrer vertreibt sich seine Zeit mit Telefonieren. Zwei Finger der linken Hand am Lenkrad, meistens auf dem Mittelstreifen fahrend. Dauerhupe. Wenn er gerade nicht telefoniert oder hupt, singt er laut vietnamesische Volkslieder aus dem Radio mit. Karaoke ist hier Volkssport. Kaffeepause in einer riesigen Verkaufsarena. Es gibt Halsbänder mit der Nummer des Busses drauf, damit die dummen Touris ihn unter hundert anderen wiedererkennen können. Die schönsten Orte haben oft einen hässlichen Vorgarten. So ist das auch mit Halong Bay. Die Hafenstadt Haiphong ist Umschlagplatz für Touristenhorden, die wie Massentieren vor der Schlachtung auf die Boote getrieben werden. Aber alle sind zum Spaß hier, dementsprechend gelassen ist die Atmosphäre. Ein kleines Boot bringt die fröhliche Gruppe des Busses in zwei Etappen auf das Schiff. Sobald das Schiff den Hafen verlassen hat, macht die leichte Brise an Deck des Bootes den Trubel vergessen. Die See ist sanft und erste Karstfelsen erscheinen wie freundliche Geister aus dem Nebel. Ich will nicht übertreiben, aber es ist magisch! Halong Bay ist nicht zufällig Weltkulturerbe. Stundenlang könnte ich auf an Deck sitzen und den Zauber einatmen. Doch Tourguide Linda hat ein straffes Programm vor, das Boot geht an einer kleinen Insel vor Anker. Ti Top Island. Mindestens fünfzig weitere voll besetzte Boote hatten vor uns diese Idee und fünfzig weitere nach uns auch. Es ist der Horror. Hunderte Chinesinnen posen am Strand und tanzen lachend in der Sonne herum. Die Übervölkerung hier scheint außer mich keinen zu stören. Linda hat einen „Hike“ versprochen, gemeint sind ein paar Treppenstufen, auf denen sich tausend schwitzende Touristen mühsam hochschleppen. Oben könnte eventuell eine nette Aussicht sein, schwer zu erkennen, für ein Foto müsste man zehn Minuten anstehen. Entnervt wühle ich mich treppab und vertreibe mir am Strand die Zeit mit der netten malaysischen Familie, an deren Tisch ich mittags saß. Das Mädchen ist acht Jahre alt, spricht Mandarin, Malaysisch und Englisch! Sogar ihr kleiner, fünfjähriger Bruder versteht schon Englisch. Beeindruckend. Wir spielen ein bisschen im Wasser und bauen Sandburgen. Die Kinder haben richtig Spaß hier. Es gibt viele Tropfsteinhöhlen in Halong Bay, eine davon besichtigen wir, das ist wirklich interessant. Besonders schön ist der Abend nach dem Dinner. Mit Licht sollen Tintenfische angelockt werden. Mit Angeln sitzen wir am Heck des Schiffes, das Leuchten das Wassers sieht schon ohne Fische toll aus. Wir entdecken fliegende Fische. Es entstehen sehr interessante Gespräch, ich lerne ein Paar aus Kolumbien kennen: Jorge und Christian. Jorge hat Politik studiert, spricht mehrere Sprachen fließend, hat lange in Indien gelebt, sich mit verschiedenen Religionen beschäftigt und ist Beauftragter für Menschenrechtsfragen bei der UN. Jorges Ansichten und Haltungen beeindrucken mich, wir reden auch lange über Buddhismus und es ist sehr schön anzusehen, mit welcher Natürlichkeit beide ihr Schwulsein zeigen. Es geht in der Unterhaltung auch um Sprachen und José, ein Belgier, der nach Vietnam als Übersetzer gekommen ist, erzählt unterhaltsame Anekdoten. Drinnen im Boot versuchen sich zwei ältere Inder als Karaokestars. Das sorgt natürlich zusätzlich für Gelächter. Als Céline Dions „Heart Goes on“ kommt, stellen sich Jorge und Christian in Kate-Winslet-Titanic-Pose an die Reling. Das Licht der anderen Boote leuchtet im Hintergrund. Romantisch. Am nächsten Tag geht´s früh raus zum Kayak Fahren. Ich teile mir ein Boot mit Pavel aus Polen. Er spricht kein Englisch, überhaupt spricht er wohl nicht und Kayak ist er auch noch nie gefahren. Ich setze mich also vorsichtshalber lieber zum Steuern nach hinten. Es ist schwer, dem Bootsverleiher das zu verklickern, er will partout, dass die Frau vorne sitzt. Eine echte Kayaktour ist das nicht, es geht von einem Steg aus nur im Kreis, ist aber trotzdem sehr schön. Der Tag ist noch jung, Fels und Wasser fühlen sich so sanft und frisch an. Meine Tour führt mich vom Rest der Gruppe weg, ich habe noch eine Übernachtung auf einer kleinen Insel vor Cat Ba Island gebucht und hoffe natürlich nicht, dass das wie Ti Top Island wird. Das wird es nicht – im Gegenteil! Wir ankern vor der Insel, die Monkey Island genannt wird und es gibt einen echten Hike auf den obersten Berg der Insel. Die Kletterei ist wirklich anspruchsvoll, es gibt keine Seile, nur Fels und Stein. Ich bin sehr früh losgeklettert und daher fast alleine oben, vier junge Engländer, zwei Frauen und zwei Männer, haben es auch geschafft. Der Ausblick ist bestechend, wir sehen auf einen kleinen Strand mit ein paar Bambushütten und fünf Sonnenschirmchen. Juchhe! Hier werde ich eine Nacht bleiben! Am Strand spielt eine Affenfamilie. Die Kleinen schlagen Purzelbäume, jagen sich, raufen, hängen sich in den Baum und lausen sich gegenseitig das Fell. Ein Holländer füttert den Anführer der Horde mit Bananen und der setzt sich auf seine Schultern. Ein kleinerer Affe fängt an die Freundin des Holländers zu attackieren. Mit sehr viel Sand kann sie ihn verscheuchen. Das Boot fährt uns zur anderen Seite der Insel und ich beziehe mein kleines Strandbungalow. Herrliche Ruhe. Paradies! Wenn es wärmer wäre, würde ich jetzt baden gehen. Über eine Treppe gelangt man zu einem Aussichtspunkt, von dort sieht man Meer und Kalkfelsen-Inseln. Ich sitze einfach nur da und schaue. Einige Zeit später kommt das eine englische Pärchen dazu und wir unterhalten uns über das Reisen und das Leben im Allgemeinen. Ich werde schon früh morgens wieder abgeholt, Tourguide Linda zeigt uns vor dem Mittagessen, wie man vietnamesische Frühlingsrollen zubereitet und jeder darf mitmachen. Nach dem Mittag geht´s dann wieder mit dem Bus nach Hause. Nach Hause heißt: Hanoi. Da bleibe ich noch zwei Nächte. Weil´s so schön ist!