„Schatz, warte nicht mit dem Essen auf mich, ich mache Überstunden“, möchte ich auf der Laufstrecke Robin, meinem Mann, zurufen. Geduldig steht er mit der Kamera stundenlang in der Hitze und fiebert mit. Genauso wie meine Kinder und Freunde nachts zu Hause am Livetracker. Am Ende wird jeder Meter bejubelt, den ich zurücklege. Traben, wandern, traben, Verpflegungsstation, Schwamm über den Kopf, Eis in die Mütze, ein Schluck Cola, ein Schluck Wasser, den Rest über den Körper gießen, beides nicht verwechseln! Und wieder: Traben, wandern, traben und so weiter. Viereinhalb Stunden lang. Am Ende im Dunkeln. Die Sonne ist schon untergegangen. Ganz ehrlich: Nach meiner guten Vorbereitung hatte ich mir das Rennen anders vorgestellt. Die Bezeichnung „Rennen“ sagt ja schon alles. Aber die Insel wollte mir gestern eine Lektion in Demut erteilen. Unberechenbarkeit ist ein Reiz dieses Events hier in den salzigen Wellen, der Hitze und dem Wind in der Lavawüste. Du weißt vorher einfach nicht, was passieren wird. Nach dem Schwimmen und Radfahren mit Krämpfen ist beim Laufen spätestens ab Kilometer drei dann klar, dass es ein richtig langer Tag für mich wird. Ich muss mich erstmal auf einen Stein setzen. Ich weiß nicht, wie lange ich da so sitze, es kommt jedenfalls ein Zuschauer vorbei, gibt mir die Hand und bietet mir an, ein Stück mit mir zu gehen. „Walking is better than sitting“, sagt der gut aussehende Mann und wir gehen ungefähr fünfhundert Meter nebeneinander her. Er quatscht einfach drauflos. Dann kann ich plötzlich wieder etwas traben und schaffe es bis zum Wendepunkt am Allii Drive. Bis dahin überlege ich noch, ob ich es wie Forrest Gump mache: Nach einem scheinbar ewig dauernden Lauf von der Ost- zur Westküste der USA steht er eines Tages mitten in der Wüste, in Momument Valley, eine riesige Schar Läufer pilgert hinter ihm her in dem Glauben, sein Tun habe eine tiefer gehende Bedeutung. Forrest hält an, die Pilgerschar hinter ihm auch, alle warten gespannt auf seine Offenbarung. Forrest sagt: „Ich bin müde. Sehr sogar. Ich glaub, ich geh wieder nach Hause.“ Ich spiele weitere Optionen durch. Weinen. Zum Beispiel. Führt aber zu nichts. Ich trabe am White Sands Beach vorbei. Jetzt einfach mit Klamotten in den Ozean springen, in den Wellen toben und allen eine lange Nase zeigen. „Tut mir leid, Sie haben die offizielle Wettkampfstrecke verlassen und sind disqualifiziert.“ „Ohhhh, das ist aber seeeeeehr schaaaade…“ Nein, auch diesem Impuls gebe ich nicht nach. Es gehört zum Spirit dazu, das Ding zu Ende zu machen. Im Reglement steht, man darf die Laufstrecke im Laufen, im Gehen oder auch kriechend absolvieren. Zu einer dieser Möglichkeiten werde ich ja wohl noch in der Lage sein! Und bis zum Zielschluss um Mitternacht schaffe ich es in jedem Fall. Na, gut. Kriechen würde vielleicht eng. Ich ziehe in Erwägung, das Ganze so lange auszudehnen, dass ich als letzte Athletin auf der Finishlineparty abgefeiert werde. Schlussendlich fasse ich den pragmatischen Plan, erstmal bis zur Palani Road weiterzutraben, mir am Anstieg wieder eine Gehpause zu erlauben und dabei zu überlegen, ob ich die 30 Kilometer in der Lavawüste noch mache. Unglaublich viele Zuschauer stehen jubelnd am Rand und bewundern, wie ich und hunderte andere den Anstieg hochschleichen. „Looking good!“ „Great Job, great Job!“ Für Augenwischerei ist man hier ja immer zu haben. Aber ich bin froh, dass sie nicht rufen: „What a snail you are!“ „You look so fucked up – better get out of the race.“ Aufhören geht jetzt gar nicht. Ich höre dann mal auf zu denken, biege ab und es ist klar: Das ziehst du jetzt durch! In der Lava treffe ich einen Mann aus Texas, der sagt: „At home nobody really knows the meaning of the results. Go for a finish.“ Eine Weile laufe ich mit einem jungen Mann aus Guatemala, er ist einer von nur drei Athleten aus seinem Land und hat wie ich einen gebrauchten Tag erwischt. An den Getränkestationen klöne ich mit den Helfern, bedanke mich und werde bejubelt. Die inspirierendste Begegnung des Tages habe ich am Ende. Das Energy Lab ist längst durchlaufen. Es sind noch sechs Kilometer ins Ziel. Einmal um den Maschsee. Es ist schon dunkel. Gerade wandere ich mal wieder, als mich eine Frau im weißen Dress überholt. Ihr Tempo ist wie gemacht für mich und ich hänge mich an sie dran. Sie heißt Claire, kommt aus Südafrika und schenkt mir ein Stück Brot, das sie im Energy Lab ergattert hat. Ich sterbe vor Glück über dieses Nahrungsmittel, sage ihr das genau so und sie lacht sich halb kaputt. Humormäßig sind wir voll auf einer Wellenlänge. Die Abbiegung vom Highway zur Palani Road ist beleuchtet, das sieht man von Weitem. „I see light“, sage ich. Sie: „Is this the tunnel?“ Ich: „Am I dead?“ Wir können vor Lachen kaum weiter traben. Es geht an einer Beatbox vorbei, wir tanzen da herum und die müden Helfer werden nochmal wach und machen mit. Den Zieleinlauf genießen wir dann beide in vollen Zügen, ich klatsche jeden ab, der seine Hand rausstreckt, winke in die Menge. Im Ziel ist der Ofen dann total aus, ein Rollstuhl muss gebracht werden, zwei Stunden Medizinzelt. Claire hat mich ins Ziel gebracht. Und die Begegnung mit Claire steht auch symbolisch für meinen ganzen Weg hierher und dafür, welch besondere Art von Verbindung dieser Sport schafft. Vor neunzehn Jahren bin ich genau so mit Nina hier ins Ziel gelaufen. Sie ist danach Profi geworden und ich Mutter. Durch unser Erlebnis auf Hawaii ist eine Freundschaft entstanden, die über die Jahre, die Ereignisse und die Distanz unerschütterlich stand gehalten hat. Sylvie hat mich überhaupt erst zum Triathlon gebracht, mir meine erste Lauftight geschenkt. Die erste 100 km Radausfahrt war mit ihr. Dass ich beide auf meiner Reise wiedergefunden habe und dass sie meinen Weg mit Einfühlung, Know-How und Humor begleitet haben, ist für mich etwas sehr Emotionales. Ich bin auch überwältigt von der großen Resonanz, die meine Qualifikation und mein Finish zu Hause hervorgerufen hat. Danke an alle, die mitgefiebert haben! Besonders gemeint sind mein Sohn und meine Tochter, die beide einen echten Hals hatten, dass sie zur Schule müssen, während ihre Eltern auf Hawaii Hula-Hula machen! Ein großer Dank geht an meinen Trainer, Jan Raphael, der mir sehr stimmige und individuell auf mich zugeschnittene Pläne gemacht hat und auch für blöde Fragen immer zur Verfügung steht. Dass ich mein halbes Sabbatjahr so erfüllt genießen kann, verdanke ich am Ende meinem Mann Robin, der zu Hause den Laden am Laufen hält und meinen Eltern und Schwiegereltern, die jetzt, wo wir beide weg sind, ein Auge auf die Kinder haben. Es hat mich sehr gefreut, als Gast-Bloggerin für Tri-Mag schreiben zu dürfen, bedanke mich besonders bei Frank Wechsel und Daniel Eilers, die gut mit der übermotivierten und ungeduldigen Schreiberin umgehen konnten! Ich hoffe, dass meine Erlebnisse auf dem Weg zum Ironman Hawaii für Unterhaltung gesorgt haben. Mein weiterer Weg im Sabbathalbjahr führt mich über Thailand nach Taiwan, wo eine Freundin aus Grundschultagen als Nonne in einem buddhistischen Kloster lebt. Ich werde weiter bloggen. Ihr findet mich unter: www.ironwoman.blog.com Aloha, Eure Katy