img_0440.jpg Der Hannover-Marathon ist mein persönliches Olympia! Aber diesmal wollte ich wirklich nicht mitmachen. Warum? Nach dem Ironman Hawaii war es mein Ziel, kein Ziel zu haben. Erstmal. Ich bin durch die Welt getingelt. Herbst und Winter: Keine Intervalle, keine Tempoläufe, keine Fahrtspiele, kein Radfahren, kein Schwimmen: Nichts. Gar nichts. Ich wollte nicht trainieren, ich wollte ohne Sport reisen. Was anderes machen als sonst. Den Tag, die Woche, den Monat total selbst bestimmen. Keinen Plan haben. Und zu Hause dann wieder anfangen. Mit dem Training und mit dem Alltag. Aber bitte ohne Plan, zumindest im Training! Kein Zwang! Nur nach Lust! Ist ja schließlich ein Hobby. Kein Beruf. Das hat sich absolut gelohnt! Die Reise war grandios! Bewegend! Sport hat mir nicht gefehlt. Aber zu Hause war es dann so: Erst kam eine Erkältung. Dann keine Lust auf Sport. Gar keine. Nix. Null. Niente. Nothing. Und ich blieb einfach auf dem Sofa sitzen. Mit mir auf dem Sofa: ein riesen Teller Schokolade, ein fetter Schweinehund und ein ungeheuerliches Exemplar schlechter Laune. Die beiden letztgenannten sind nerviger als Flöhe, Läuse und Zecken. Vor allem für meine Familie. Die Mutter muss an die frische Luft! Die muss sich dringend bewegen! Zeit wieder rauszugehen. Auch als Maßnahme im Sinne der Sozialhygiene. Irgendwann im Januar hab ich mich dann wenigstens an den Wochenenden aufgerafft, bin durch den Schnee geschlichen wie eine Giraffe auf Ritalin. Ich=ein Sack Schrauben. Sechserschnitt, Puls Hundertsechzig. Ein Virus hatte es nicht schwer, mich einzufangen, mich wieder ans Sofa zu fesseln und noch mir noch eine Superinfektion mit Bakterien draufzusetzen. Die schlechte Laune saß wieder da, grinsend, hat sich über mein dreiwöchiges Siechtum gefreut. Manche Leute fangen nach einer Krankheit wieder bei null an. Ich war bei minus hundert. Wenigstens konnte ich ein bisschen Hüftgold abwerfen, aber statt meiner Topwerte vor Hawaii schleppe ich immer noch statt gemessener 9% Körperfett gefühlte 25% mit mir rum. Mallorca zu Ostern, das ist unser Familien-Jahresritual, das eigentlich den Titel „Trainingslager“ trägt – in den vorigen Jahren zurecht. Dieses Jahr haben wir dieses Wort eher vermieden. Ja, die Räder nehmen wir mit. Aber, nein, wir trainieren nicht viel. Nur nach Lust! „Einfach nur genießen“, das sollte das Motto sein. Das sah bei der Auffahrt am Colle de Hono nach Orient dann so aus: Mein Tacho hat sich am Berg automatisch ausgeschaltet: Er dachte, ich stehe! Fazit: genussvoll, aber entwürdigend. Das ganze „Trainingslager“ über habe ich diese oberschlauen Trainingstipps im Ohr: „Der gute Athlet wird im Winter gemacht!“ O.k., Leute, lasst mich alle in Ruhe! Nein, ich habe nicht trainiert im Winter. So, what?? Dann werde ich eben ein schlechter Athlet. Aber ich werde wieder Athlet. Besser noch: Athletin. Fertig. Basta. Aus. Und da war es wieder: Das Ziel. Und dann habe ich gemacht, was ging. Langsames Tempo. Wenig Umfänge. Viele Pausen. Nichts über´s Knie brechen. Mehr ging halt nicht. Aber es hat wieder Spaß gemacht. Und das beste: Ich hatte wieder richtig Lust auf Sport. Zu Hause war dann das Wetter so furchtbar. Es sah aus, als wäre die gesamte Mallorca-Inspiration verpufft. Unmotiviert bin ich letzten Mittwoch durch die Eilenriede getrabt und habe am Lister Turm die Marathon-Schilder gesehen. Und die blaue Linie, mit der ich so irrational verbunden bin, dass ich jedes Jahr immer fast weinen muss, wenn ich sie im April wieder auf den Straßen sehe. Mein Herz schlägt höher, wenn ich daran denke, dass ich 1991 hier in Hannover meinen ersten Marathon gelaufen bin. Das pochende Herz vorm Start am Rathaus. Wenn ich daran denke, dass mir 21 Jahre später die blaue Linie den Weg zu meiner Bestzeit geleitet hat: 2:56. Die bekannten Gesichter am Bennigsen-Ufer, die Trommler an der Hildesheimerstraße, Jubel am Aegi, Menschenmassen in der Jakobistraße, begeisterte Kinder in der Nordstadt, Luftballons, Musik, Party. In meiner Heimatstadt bin ich danach noch zweimal einen Marathon unter drei Stunden gelaufen, einmal war ich knapp drüber. Hier bin ich Landes- und Stadtmeisterin geworden. Ganz Hannover redet über diesen Tag. Und morgen? Ohne mich. Ohne mich? Warum eigentlich? Weil mein Ziel war, kein Ziel zu haben? Son Quatsch! Am Samstag vorm Rennen habe ich mich dann nachgemeldet. Spontan. Intuitiv. Emotional. Irgendwo habe ich mal gehört, es gäbe sowas wie Genusslaufen. Das könnte ja ein schönes Ziel sein. Mein olympischer Gedanke. Dabei sein ist alles. Unterwegs ein paar Freunde begrüßen, anhalten, abknutschen. Weiterlaufen. Zu den Trommlern tanzen. So viele Kinderhände wie möglich abklatschen. Aber wer sich mit der Geschichte auskennt, der weiß allerdings auch, dass „Dabei sein ist alles“ gar nicht das olympische Motto ist. Pierre Coubertin hat den Satz nie so gesagt. Eigentlich ist das Motto citius, altius, fortius. Schneller, höher, stärker. Das hat die Leistungssportlerin in mir tief inhaliert, auch wenn sie nie bei Olympia war. Okay, ich könnte mir ja vornehmen, schneller zu sein als der Mann im Erdinger -Kostüm. Und stärker als mein Schweinehund bin ich ja sowieso. Passt also alles. Ansonsten wollte ich eher unerkannt und ohne mediale Ansage den Parcour machen. Etwaige Entwürdigungsszenen wie am Colle de Hono wollte ich nicht unbedingt viral sehen. Also entschied ich: keine Facebookpostings oder sowas. Als ich dann an der Nachmeldung stehe, begegnet mir als erstes mein alter Bekannter Christoph Danowski, Hannovers bekanntester Sportreporter, Sprecher der Veranstaltung. Ich zu ihm: „Oh, Mist! Ich dachte, ich könnte hier ein bisschen unter dem Radar fliegen!“ „Vergiss es“, sagt er, lacht und zieht ab. So habe ich dann also meinen Lauf gemacht. Halbmarathon. In Startblock B ganz hinten angestellt, auf der Strecke mit anderen Läufern gequatscht, stehen geblieben, Freunde begrüßt, Küsschen gegeben, Kinderhände abgeklatscht, viele Leute super nette getroffen, erst Spaß gehabt, mich am Ende dann doch richtig angestrengt und gelitten – wie´s sich gehört. Welches Gefühl bleibt? Erstens: Glücklich dabei gewesen zu sein und zweitens unglücklich 14 (!) Minuten unter der eigenen Bestzeit gelaufen zu sein. Erst habe ich gar nichts über meinen Lauf erzählt oder gepostet. Aber ich wurde so oft gefragt. Als ich dann mit Bildern und Filmen überschüttet wurde und mein Lauf, Fotos, Zeiten wie von alleine im Netz auftauchten, war ich trotz meiner Unzufriedenheit irgendwie doch stolz und gerührt über die Aufmerksamkeit und Begeisterung der Menschen um mich herum. Ich glaube am Ende auch nicht, dass Zeiten wichtig sind. Wichtig ist ein Ziel. Und eine Haltung  dazu. Ich könnte ja daran arbeiten, eine zufriedenere Genussläuferin zu werden. Aber irgendwie ist das noch nicht dran. Kommt später. Ich geh jetzt erstmal ein bisschen trainieren. Das Erdinger-Männchen habe ich gestern immerhin schon geschlagen! Und den Schweinehund auch.